Krieg in Gaza und im Nahen Osten

von Ivesa Lübben*

Rede auf der Friedenskundgebung auf dem Bremer Marktplatz, 5. April 2025

Liebe Freunde, die Ihr hier auf dem Bremer Marktplatz versammelt seid;

Über den Genozid und die israelischen Menschenrechtsverletzungen in Gaza haben meine Vorredner bereits gesprochen. Ich möchte auf eine weitere Gefahr hinweisen. Israel ist nicht nur eine Bedrohung für die Palästinenser, sondern für die gesamte Region des Nahen und Mittleren Ostens. Israel führt zurzeit einen Vierfrontenkrieg – gegen Gaza, gegen die Westbank, gegen den Libanon und gegen Syrien.

Gucken wir uns den Libanon an. Trotz des im letzten November vereinbarten Waffenstillstandes setzt Israel seine Politik der gezielten Tötungen in Form von Drohnen- und Luftangriffen fort. Dutzende Zivilisten kamen dabei ums Leben – trotz des Waffenstillstandes. Israelische Kampfflieger verletzen regelmäßig den libanesischen Luftraum. Erst letzte Woche wurde die libanesische Hauptstadt Beirut bombardiert und ein Wohnhaus zerstört. Im eklatanten Widerspruch zum Waffenstillstandsabkommen hat Israel im Südlibanon fünf militärische Außenposten beibehalten. Was ist die Reaktion unserer Politiker? Sie hüllen sich in Schweigen.

Aus dem Norden der Westbank wurden im Schatten des Gazakrieges bislang 40.000 Palästinenser vertrieben. Wohin sollen die gehen? Radikale Kräfte in Israel – einschließlich einiger Minister – möchten sie nach Jordanien abdrängen. Dass damit das Nachbarland destabilisiert würde - mit unabsehbaren Folgen für die gesamte Region - interessiert sie nicht. „Nach mir die Sintflut“, das ist ihr Motto. Ohnehin meinen einige Kräfte in der jetzigen israelischen Regierung, dass große Gebiete des östlichen Jordanufers – also Jordaniens – Teil des den Juden versprochenen „Eretz Israels“ sei. Finanzminister Smotrich präsentierte erst kürzlich bei einem Vortrag in Paris eine Landkarte des den Juden verheißenden Landes. Nach Smotrichs Auffassung umfasst es den Libanon, große Gebiete Syriens und Jordaniens bis in den Norden Saudi-Arabiens, sowie den ägyptischen Sinai und Teile des östlichen Nildeltas.

Siedlerorganisationen in Israel werben schon jetzt für die Errichtung jüdischer Siedlungen in Südlibanon. Nur Hirngespinste einiger weniger Verrückter? Eine offene Frage.

Israel hat bislang jeden Krieg dazu genutzt sein Territorium und seine Einflusszonen auf Kosten der indigenen Bevölkerungen auszudehnen.

Das gilt für 1948. Während der Nakba erweiterte Israel sein Territorium um große Gebiete des nach dem UN-Teilungsbeschluss vorgesehenen palästinensischen Staates. 80 % der Palästinenser wurden vertrieben.

Das gilt auch für den Krieg von 1967. In einem Überraschungsangriff eroberten israelische Truppen Gaza, die Westbank, Ostjerusalem, die syrischen Golanhöhen und den ägyptischen Sinai. Ostjerusalem und die Golanhöhen wurden später völkerrechtswidrig annektiert. Die Palästinenser Ostjerusalems haben heute nur noch eine Duldung, die ihnen jederzeit entzogen werden kann. Und wie schon die Palästinenser während der Nakba wurden 1967 130.000 Syrer aus den Golanhöhen vertrieben, 300 syrische Dörfer zerstört und das Gebiet für israelische Siedler freigegeben.

Den Sinai hat Israel nur unter massivem Druck der Carter-Administration und gegen den erheblichen Widerstand radikaler Siedlerorganisationen zurückgegeben. Die USA wollten im Kalten Krieg das zuvor mit der Sowjetunion verbündete Ägypten in die amerikanische Militärstrategie einbinden. Israel hatte sich auf dem Sinai bereits eingerichtet. Der Sinai wurde zum Urlaubsparadies für israelische Touristen. Am Golf von Aqaba entstanden mehrere Kibuzzim. Am Mittelmeer sollte eine neue Hafenstadt namens Yamit entstehen. Yamit sollte – damals übrigens unter der israelischen Arbeiterpartei – nach Tel Aviv und Haifa die drittgrößte israelische Metropole am Mittelmeer werden.

Auch wenn israelische Politiker immer wieder Sicherheitsargumente anführen, so ist der Gedanke der Expansion immanenter Teil israelischer Staatslogik. Das Recht Israels auf sichere Grenzen ist Teil der deutschen Staatsraison, die von unseren Politikern Mantra-mäßig wiederholt wird. Aber wo sind diese Grenzen? Israel hat nie seine Grenzen definiert. Schon 1947 hat Ben Gurion Vorbehalte gegen den UN Teilungsbeschluss geltend gemacht. Zu diesen Vorbehalten gehörten die Grenzen des geplanten jüdischen Teilstaates und die Gründung eines palästinensischen Staates in Palästina. 2018 hat die israelische Knesset ein Nationalstaatsgesetz als eines der israelischen Grundgesetze verabschiedet. Darin wird nicht nur die Siedlungstätigkeit in der Westbank zur Staatsaufgabe erklärt. In dem Gesetz heißt es auch sehr schwammig, dass der ‚Staat Israel‘ im ‚Land Israel‘ - Eretz Israel – gegründet wird. Damit wird ein messianischer Anspruch auf große Teile des Nahen Ostens zur verklausuliert formulierten Staatsdoktrin mit Verfassungsrang. Solange dieser koloniale Anspruch nicht ein für alle Mal aufgegeben wird, wird es niemals Frieden im Nahen Ost geben.

Nun lassen sie mich ein paar Worte zu Syrien sagen. Ohne dass es irgendeinen Anlass gegeben hätte, hat Israel nach dem Sturz des Assad-Regimes das Waffenstillstands Abkommen mit Syrien von 1974 einseitig aufgekündigt. Israel hat ganz Syrien mit einem Bombenteppich übersät und dabei in kürzester Zeit 80% des syrischen Militärpotentials zerstört. Getroffen wurden nicht nur Militärbasen, sondern Eisenbahnverbindungen, Infrastruktur, Straßen, selbst Naturreservate und Forschungseinrichtungen. Israelische Panzer sind in den Süden des Landes eingedrungen, haben 440 km2 besetzt, darunter das Flussbett des Yarmuk – eine wichtige Wasserquelle für Syrien und Jordanien – sowie das wasserreiche und strategisch wichtige Hermongebirge, von wo aus man Damaskus kontrollieren kann. Israelische Soldaten verhalten sich wie die Herren im Land, konfiszieren Land für die Errichtung von Militärbasen, sprengen Häuser und terrorisieren die Bevölkerung. Erst letzte Woche wurden 9 Männer erschossen, die gegen das Vordringen israelischer Panzer in ihr Dorf protestierten. Im israelischen Sprachjargon waren das Terroristen. „Eine Warnung für alle die die Sicherheit Israels bedrohen, hat der israelische Verteidigungsminister Katz den Angriff auf Syrien gerechtfertigt und gedroht: „Wenn ihr es Israel-feindliche Kräften erlaubt, von syrischem Boden Israels Sicherheitsinteressen zu bedrohen, werdet ihr einen extrem hohen Preis bezahlen.“ Damit spielt Katz auf die syrisch-türkischen Verhandlungen über ein Militärabkommen an. Syrien droht zum Kampffeld zwischen Israel und der Türkei um die Hegemonie im Nahen Osten zu werden.

Aber auch gegenüber Ägypten – eigentlich seit dem Camp-David-Abkommen ein treuer Verbündeter – wird der Ton schärfer. Unter Bruch des ägyptisch-israelischen Grenzabkommens haben israelische Truppen den Grenzkorridor zwischen dem Gazastreifen und Ägypten besetzt. Ägypten ist angesichts der israelischen Pläne, die Palästinenser aus Gaza nach Ägypten abzudrängen alarmiert. Im Februar hat die israelische Militärzeitschrift Nziv Planspiele veröffentlich, bei denen die israelische Luftwaffe den Assuanstaudamm bombardiert. Auch wenn dies zurzeit nur Gedankenspiele sein mögen, hat dieses Säbelrasseln in Ägypten alle Alarmglocken ausgelöst. Die Zerstörung des Staudamms könnte eine Flutwelle auslösen, die bis zu 10 Millionen Todesopfer zur Folge hätte und den größten Teil der ägyptischen Infrastruktur zerstören würde.

Der aggressive Ton gegenüber Ägypten hängt nicht nur mit dem Gazakrieg zusammen. Ägypten hat in den letzten Jahren seine Luftwaffe enorm aufgerüstet. Ihre Schlagkraft reicht inzwischen fast an die Israels heran. Israels Militärstrategie basiert jedoch auf der Bewahrung der militärischen Überlegenheit über alle anderen Regionalmächte. Diese Politik wurde seit der Gründung Israels von den Westmächten unterstützt. 2012 wurde die Wahrung des Militärischen Vorsprungs Israels gegenüber seinen Nachbarn – ‚Qualitative Military Edge‘ wie es im militärischen Sprachgebrauch heißt - in den USA durch Beschluss des Kongresses und des Senats sogar rechtlich festgeschrieben. Aber jeder, der sich mit Friedenspolitik beschäftigt, weiß, dass ein solches militärische Übergewicht keinen Frieden bringt, sondern die Rüstungsspirale immer weiter antreibt – zumal wenn sie durch einen Staat vorangetrieben wird, dessen Staatslogik immanent auf Expansion beruht.

Diese Rüstungsspirale wird an noch einer Front brandgefährlich: Der neue israelische Generalstabschef Ejal Zamir hat großspurig verkündet, dass das Jahr 2025 zum „Jahr des Krieges gegen den Iran“ wird. Israel ist fest entschlossen, die iranischen Atomanlagen zu zerstören. Und eine der ersten Amtshandlungen der Trump Regierung war die Lieferung von 2000-Pfund-Bomben, die man zur Zerstörung unterirdischer Fabriken benötigt. Die Biden-Regierung hatte sich aus Angst vor einer Ausweitung des Krieges geweigert, diese Waffen zu liefern.

Dabei ist die Frage: Wer bedroht hier wen? Israel versucht seine militärische Überlegenheit auch durch Atomwaffen aufrechtzuerhalten. Israel ist im Besitz von 200 Atomsprengköpfen. Es ist übrigens ein Tabuthema deutscher Politiker, diese Atomwaffen überhaupt zu erwähnen. Dabei haben deutsche Wissenschaftler Israel bei der Entwicklung von Nukleartechnologie hinter den Kulissen unterstützt. Und Deutschland hat über die Lieferung von 6 U-Booten der Dolphin-Klasse, die mit Atomsprengköpfen bestückt werden können, zur Herstellung einer atomaren Zweitschlagfähigkeit Israels beigetragen.

Israel ist – übrigens anders als der Iran – nicht dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten. Und es lässt keine Inspektion seiner Atomreaktoren durch die internationale Atomenergiebehörde zu.

Die Gefahr, dass der Gaza-Krieg zu einem regionalen Flächenbrand mit unabsehbaren Folgen für die Sicherheit Europas und die internationale Ordnung wird, ist größer als je zuvor. Eine ‚Koalition aus Militarismus, Kolonialismus und Messianismus‘ wolle der gesamten Region eine „Pax Israelica“ aufzuzwingen, warnt der palästinensisch-israelische Autor Odeh-Bishara in Haaretz. Die Regierung Netanjahu sehe die Trump-Regierung hinter sich - ein Zeitfenster, das sie unbedingt nutzen wolle, weil dieses sich auch wieder schließen könnte.

Wir dürfen die Augen vor dieser Gefahr nicht verschließen. Unsere Politiker müssen der israelischen Kriegstreiberei endlich Einhalt gebieten!

Wir fordern einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza, in der Westbank, im Libanon und in Syrien!

Wir fordern einen israelischen Rückzug aus allen besetzten Gebieten in Gaza, der Westbank, Ostjerusalem, Syrien und Libanon und die Einhaltung der Beschlüsse internationaler Gerichte!

Wir fordern die Einstellung aller Waffenlieferungen an Israel und jede militärische und Sicherheitskooperation mit Israel durch die neue Bundesregierung!

Die Ausweitung des Krieges auf andere Regionalmächte muss verhindert werden!

Wir fordern die Schaffung einer ABM-Waffen-freien Zone im Nahen Osten und eine regionale Abrüstungskonferenz, die die Sicherheitsinteressen aller Länder der Region berücksichtigt!

Und wir fordern endlich die Einlösung des Rechts der Palästinenser auf nationale Selbstbestimmung und einen eigenen Staat. Ohne dies wird es niemals Frieden im Nahen Osten geben!

*Ivesa Lübben arbeitet im Arbeitskreis Nahost, Bremen und ist Vizepräsidentin der Deutsch Palästinensischen Gesellschaft

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