Antikontakt-Gebühr

von Bernd Hontschik
03.09.2025



Fünfzig Jahre und ein Jahr ist es her, dass Heiner Geißler, damals Sozialminister des Landes Rheinland-Pfalz, wider besseres Wissen die Kostenexplosion im Gesundheitswesen erfand. Damals sagte er voraus, dass „im Jahr 2000 ein Beitragssatz von rund 70 vH zur Deckung der Ausgaben erforderlich sein“ werde. Dieses Horrorszenario ist nicht eingetreten, aber die ständig steigenden Kosten im Gesundheitswesen sind seitdem dennoch ein Dauerthema. So hat vor wenigen Jahren ein Freiburger Lobbyist der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) namens Professor Bernd Raffelhüschen nicht für zehn Euro, auch nicht für hundert Euro Zuzahlung bei jedem Arztbesuch plädiert, sondern er sorgte mit der zuvor noch nie dagewesenen Forderung nach einer Eigenbeteiligung von 2000 Euro im Jahr für Aufsehen. Die „Neue Soziale“ Marktwirtschaft ist wohl als eine ziemlich Unsoziale gedacht.

Da sind die aktuellen Schlagzeilen vergleichsweise noch moderat: Der CDU-Politiker Steffen Kampeter, Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber verbände, will mit einer bei jedem Arztbesuch fälligen Gebühr „unnütze Arztbesuche“ beenden. Der Euphemist nennt das eine Kontaktgebühr! Das ist doch eher eine Kontaktverhinderungsgebühr. Und was unnütz ist, entscheidet Herr Kampeter? Dadurch soll es nur noch Arztbesuche geben, die Kranken helfen, um gesund zu werden. Und die Patientenströme sollen gesteuert, sprich eingedämmt und reduziert werden. Das soll endlich zu stabilen Krankenkassenbeiträgen führen. Eigentlich ist es eine Zumutung, dass man sich solchen Unfug regelmäßig immer wieder anhören muss.

Die London School of Economics hatte schon 2009 173 Studien aus fünfzehn Nationen über Zuzahlungen im Gesundheitswesen ausgewertet. Es wurde definitiv festgestellt, dass die Folgekosten durch weniger Arztbesuche, durch verzögerte Notfallbehandlungen und durch verschleppte Krankheiten höher sind als alle Einsparungen und Einnahmen durch Zuzahlungen zusammen. Durch das Gestrüpp aller Zuzahlungen werden ausschließlich einkommensschwache Patienten vom Arztbesuch abgehalten und chronisch Kranke über Gebühr belastet, ganz zu schweigen von dem enormen bürokratischen Aufwand, der in Arztpraxen fällig würde.

Zuzahlungen sind eine reine Strafgebühr, sie sind ökonomisch eine Milchmädchenrechnung und medizinisch ethisch eine Schande.Vielleicht erfüllen sie aber doch ihren - allerdings heimlichen - Zweck, nämlich als ein Teil eines erwünschten sozialpolitischen Umschwungs, der die Krankheitskosten mehr und mehr von der Solidargemeinschaft auf den einzelnen Kranken abwälzt. Und deswegen gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder macht man die Zuzahlungen so hoch, dass kaum noch jemand zum Arzt geht, oder alle Gebühren und Zuzahlungen werden endlich abgeschafft, ganz und gar!

Es gäbe einfachere Lösungen als erste Schritte, ohne die Grundlagen des solidarischen Sozialsystems anzutasten. Als erstes fallen mir da die sogenannten „versicherungsfremden Leistungen“ ein, mit denen Politiker verschiedenster Couleur seit langer Zeit immer wieder Kosten den Krankenkassen zugeschoben haben, die mit ihrem eigentlichen Auftrag überhaupt nichts zu tun haben. Das Bundesministerium für Gesundheit definiert sie folgendermaßen: „Als versicherungsfremde Leistungen bezeichnet man Leistungen, die familienpolitisch motiviert oder von gesamtgesellschaftlichem Interesse sind“: Da sind zum Beispiel das Krankengeld, die beitragsfreie Mitversicherung des Ehepartners und der Kinder, die Krankenversicherung von Bürgergeldempfängern, die medizinische Versorgung während Schwangerschaft und Geburt oder Leistungen zur künstlichen Befruchtung und zur Empfängnisverhütung. Das alles sind enorm wichtige und unverzichtbare Sozialleistungen, aber sie haben mit dem Auftrag der Krankenversicherungen nichts zu tun. Sie müssten staatlich finanziert werden. Damit würde der Krankenkassenetat mit über 60 Milliarden Euro entlastet! Und eine angemessene Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze könnte den Krankenkassen weitere Milliarden bringen. Und wenn ich mir am Schluss noch eine letzte Bemerkung erlauben darf (ceterum censeo!): Wieviel Geld könnte man außerdem einsparen, wenn es nur eine einzige Krankenkasse gäbe. Schließlich sind die Krankenkassen ja keine kapitalistischen Betriebe, nicht auf Gewinn angelegt. Man kann bei dem gesetzlich festgelegten Auftrag gar nichts durch Konkurrenz erreichen.

Der Beitrag erschien bereits in der ÄrzteZeitung vom 28.8.2025

Mehr zum Autor: Eine Rezension des aktuellen Buches von Bernd Hontschik "Heile und Herrsche" findet man hier

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