Klinikprivatisierung

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Klinik-Privatisierung: Teuer gescheitert


von Werner Rügemer*

Mit 500 Millionen Euro will jetzt der Staat das privatisierte Uniklinikum Gießen/Marburg retten. Der beteiligte Gesundheitsminister Lauterbach schweigt

2006 wurde das Uniklinikum Gießen/Marburg (UKGM) an den Konzern Rhön-Klinikum AG verkauft. Seitdem: Personalabbau, Einsatz von Niedriglohn-Firmen, trockengelegte Forschung, ständige Staatszuschüsse – alle Versprechungen der Privatisierer wurden gebrochen, die Leistungen gesenkt, Gewinne wurden ausgezahlt – jetzt Insolvenz. Führend beteiligt als Berater und Aufsichtsrat war der jetzige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Das Land Hessen will eine halbe Milliarde Euro zuschießen - Erfolg ungewiss.

Krankenhaus-Privatisierung in der Agenda 2010

Die Privatisierung von fast allem und jedem gehörte zur Agenda 2010 der SPD/Grünen-Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder: Verkauf von staatlichen und kommunalen Wohnungen an „Heuschrecken“-Investoren, Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) für Bau und Sanierung von Autobahnen, Schulen und Messehallen, Privatisierung von Krankenhäusern und nicht zuletzt die privaten Riester- und Rürup-Renten.


Der Gesundheits-Ökonom mit dem Abschluss an der private Elite-Universität Harvard, Professor Karl Lauterbach, war standesgemäß CDU-Mitglied. Aber als die Privatisierungsprojekte griffen, trat er 2001 in die SPD ein. Mit dem Renten-Privatisierer Professor Dr. rer. pol. Bert Rürup veröffentlichte er das Programm „Weichenstellung für die Zukunft – Elemente einer neuen Gesundheitspolitik“. Die beiden Berater der Schröder-Regierung und von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt forderten: Öffnung des Gesundheitswesens für Privatunternehmen! Krankenkassen sollen die kostengünstigsten Krankenhäuser bevorzugen! Im Ab 2003 galt das Gesetz zur Fallpauschale. Dann ging es weiter: Unterfinanzierte öffentliche Krankenhäuser wurden privatisiert.

Rhön-Klinikum AG: Enge Beziehung zur Schröder-Regierung
Im Vorgriff war damals schon die Rhön Klinikum AG entstanden, der erste börsennotierte Gesundheitskonzern in Deutschland. Von der Zentrale in Bad Neustadt/Saale am Südrand der Rhön aus wurden die damals 23 kleineren Krankenhäuser mit 5.600 Betten gesteuert. Das war noch wenig im Vergleich zu den heutigen privaten Klinikketten, brachte aber durch „Prozessoptimierung“ und Personaleinsparung schon im Jahre 2000 einen Gewinn von 68 Millionen Euro. Vorstandsvorsitzender war der CDU-Politiker Wolfgang Pföhler, der nach einer Station beim Baukonzern Bilfinger Berger als Bürgermeister von Mannheim schon mal die städtische Klinik ausgegründet hatte. Vom Aufstieg profitierte auch die adlige bayerische CSU-Familie derer zu Guttenberg: Sie hielt bis 2002 26,5 Prozent der Aktien, die für 260 Millionen an die Hypovereinsbank verkauft werden konnten, sodass, wie BILD später freudig verkündete, der neue Verteidigungsminister Theodor zu Guttenberg zugleich mehrfacher Millionär war.

Das Rhön-Klinikum unterhielt schon frühzeitig zur Schröder-Regierung enge Beziehungen. So stellte man schon 2001 den Bereichsleiter Dr. Klaus-Theo Schröder, der gerade in den Vorstand aufrücken sollte, unbürokratisch von seinem Vertrag frei. Darum hatte Ministerin Schmidt in einem persönlichen Telefonat gebeten: Schröder wurde umgehend ihr Staatssekretär.

Leuchtturm-Projekt: Auch Universitäts-Klinikum privatisieren!
Bei allem Privatisierungswahn: Den Verkauf von Universitäts-Kliniken mit ihrem allgemeinen Versorgungsauftrag hat es im Gesundheitswesen sonst nicht gegeben, weder in Deutschland noch europaweit, bis heute. Damit das trotzdem zustande kam, brauchte es noch einen besonders aggressiven Akteur: Roland Koch, CDU-Ministerpräsident von Hessen, ein Privatisierungs-Fundamentalist. Er verkaufte Regierungsgebäude und mietete sie teuer zurück. Er war in Deutschland der erste, der auch ein Gefängnis nach dem ÖPP-Muster privatisierte: 2004 die Justizvollzugsanstalt Hünfeld.

Der erstmalige Verkauf von Uni-Kliniken sollte ein „Leuchtturm-Projekt“ werden, so Koch. Damit es sich lohnte, ließ er erstmal die zwei Universitätskliniken von Gießen und Marburg zur UKGM-GmbH zusammenlegen, mit 9.000 Beschäftigten. 2006 kaufte die Rhön-Klinik AG 95 Prozent der GmbH für den Spottpreis von 112 Millionen Euro. Das Land behielt einflusslose 5 Prozent der Anteile, das ist auch heute noch so.

Rhön-Klinkum expandierte in den Folgejahren auf Dutzende Gesundheitseinrichtungen in neun Bundesländern und wurde ein Tummelplatz für internationale Investoren und reiche Familien. Neben dem Gründer des ehemaligen Familienunternehmens, Eugen Münch, war die große Mehrheit der Aktien, immer wieder wechselnd, zunächst im Eigentum vor allem der neuen, gewinngierigen US-Investoren Franklin, Ameriprise, Bank of America, Artio Global, von Threadneedle aus London, des schwedischen Pensionsfonds Alecta und der Schweizer Privatbank für besonders vermögende Kunden, Julius Bär.

Im Aufsichtsrat tummelten sich, nachdem Theodor zu Guttenberg ausgeschieden war, neben Professoren und den paar Belegschaftsvertretern auch etwa Dr. Brigitte Mohn vom Bertelsmann-Konzern und dessen Stiftung.

Erste Krise: Personal-Abbau und neue Staatszuschüsse
Zwar hatte Rhön-Klinikum auf betriebsbedingte Kündigungen bis 2010 verzichtet, baute aber sofort Personalstellen ab: Befristete Stellen wurden nicht wieder besetzt. „Rentennahe“ Beschäftigte schieden mit Abfindungen aus. Die Beschäftigten in Küche, Reinigung und Wäscherei wurden in Niedriglohnfirmen ausgegliedert. Schon zwei Jahre nach der Privatisierung beklagte Betriebsratsvorsitzender Klaus Hanschur: „Die Arbeitsbelastung ist enorm gestiegen. Viele fürchten um ihren Job.“ (1)

Wissenschaftliches Personal wurde für die Patientenversorgung herangezogen, die Forschung ging zurück. Apparatemedizin und Operationen wurden konservativen Behandlungen vorgezogen. Die Zahl der Behandlungen wurde gesteigert, aber die Investitionen hielten nicht mit. Außerdem: 367 Beschäftigte bestanden auf ihrem Rückkehrrecht in den Staatsdienst – 2011 erhielten sie vom Bundesverfassungsgericht Recht.

2012 war die Krise da. Klischeemäßig erhielten die Berater von McKinsey den Auftrag zur „Leistungssteigerung“, um das „strukturelle Defizit“ zu beheben. Neue Investoren nutzten die Gelegenheit. Kurzzeitig stieg die Wall Street Bank Goldman Sachs ein, ebenso der Medikamentenhersteller B.Braun Melsungen. Die private Klinikkette Asklepios brachte es auf 10 Prozent der Aktien. Anders als im Kaufvertrag vereinbart, sagte die Landesregierung unter Koch-Nachfolger Volker Bouffier ab 2012 jährlich bis zu 13 Millionen an Investitionshilfe zu, dazu noch einen „Strukturausgleich“ von jährlich drei Millionen. (2)

Gezielt wurden immer mehr migrantische Beschäftigte angeworben. Dazu wurde auch der private Klinikkonzern Asklepios herangezogen. Für seine Schnellausbildung holte er pflegendes und ärztliches Personal auch von weit außerhalb der EU, vor allem von den Philippinen. (3)

Gleichzeitig wurden Forschung und Ausbildung zurückgefahren, Unterricht für die Medizinstudenten in Marburg und Gießen fällt regelmäßig aus. Die Zahl der Doktorarbeiten ging immer mehr zurück.

Endgültige Krise mit der Pandemie

Mithilfe des Abbaus zahlten sich die Aktionäre von 2015 bis 2019 insgesamt 278,2 Millionen Euro an Gewinnen aus. Wozu noch die 10 Millionen für die Mitglieder des Aufsichtsrats und die über 20 Millionen für die aktiven und ehemaligen Vorstandsmitglieder hinzukamen sowie 6 Millionen für die Wirtschaftsprüfer PWC und die ungenannten Honorare für McKinsey. 2019 zeichnete sich die Insolvenz ab. Asklepios ergriff 2020 die Gelegenheit und übernahm billig die Mehrheit an Rhön- Klinikum – besser wurde nichts.


In der Pandemie wurde die Überlastung des Personals gesteigert, am UKGM noch mehr als in anderen Krankenhäusern und auch im Vergleich zu den staatlichen Uni-Kliniken. Überstunden und Überlastungsanzeigen nahmen noch mehr zu, bei der Pflege, aber auch bei Ärzten und wissenschaftlichem Personal. Der Krankenstand ist hoch, so manche wechseln deshalb in Teilzeit, auch wegen ihrer Kinder zuhause. Immer mehr Beschäftigte wechseln zu Leiharbeitsfirmen, die jetzt mehr bezahlen.

Gegen die Kündigungswelle und für neues Personal in Notaufnahme und Intensivstationen wirbt der Konzern seit Oktober 2021 mit 5.000 Euro-Prämien, für eine Beschäftigungsdauer von mindestens zwei Jahren – ein ebenso drastisches wie hilfloses Eingeständnis des Scheiterns. „Arbeitsüberlastung und ausbleibende Geräteinnovation gefährden die Patientenversorgung“, so bilanzierte im Januar 2022 der Klinikdirektor in Gießen, Werner Seeger. (4)

Rettung und Qualität: Ungewiss
Schon 2009 hatten Beschäftigte, verdi, Ratspolitiker und Bürger mit Initiativen wie „Notfall113“ und „Gemeinsam für unser Klinikum“ demonstriert, Unterschriften gesammelt und den Rückkauf des UKGM gefordert. Am 9.11.20021 wurde die Petition zur Rückführung des UKGM in öffentliches Eigentum mit 18.000 Unterschriften an den Landtag übergeben.

Stattdessen lässt sich die christlich-grüne Landesregierung weiter erpressen. Die grüne Wissenschaftsministerin Angela Dorn sagte ab 2022 eine halbe Milliarde Euro zu, 10 Jahre lang bis 2031, mit jährlichen Zahlungen ansteigend von 45 bis 54 Millionen Euro – während Asklepios sich bisher zu gar nichts verpflichtet. Zum Ende 2021 ist zudem der mit verdi ausgehandelte Tarifvertrag ausgelaufen – aber Asklepios hat ihn schon vorher unterlaufen. Das verspreche nichts Gutes, so verdi-Sekretär Fabian Dzewas-Rehm.

Im Aufsichtsrat regieren jetzt die Vertreter von Asklepios. Vorsitzender ist Dr. Jan Liersch, gleichzeitig Chef der Schweizer Luxus-Hotelkette Montreux Palace S.E. Hinzukam eine Vertreterin des intern ebenfalls hochprivatisierten Klinikums Charité. Dr. Brigitte Mohn ist weiter dabei, die Bertelsmann-Stiftung ist inzwischen in Deutschland der wichtigste Lobbyist für Gesundheits-Privatisierung und Krankenhausschließungen.

Gesundheitspolitiker Lauterbach als Mitgestalter des Scheiterns

Ach so, von 2001 bis 2013 war Karl Lauterbach Mitglied des Aufsichtsrats. In dieser Phase expandierte die Rhön-Klinikum AG auch mit dem Kauf des UKGM. Lauterbach hatte noch an Gewicht gewonnen, als er 2005 Mitglied des Bundestages wurde. In diesem Zeitraum fielen für ihn etwa gut eine halbe Million an Tantiemen ab, in besseren Jahren über 60.000 Euro, im Krisenjahr 2012 waren es z.B. 64.000 Euro, in anderen Jahren etwas weniger.



Lauterbach verkündete auch noch 2019, als der „Leuchtturm“ der UKGM-Privatisierung endgültig zusammenbrach: „Jeder weiß, dass wir in Deutschland mindestens jede dritte, eigentliche jede zweite Klinik schließen sollten. Dann hätten wir anderen Kliniken genug Personal, geringere Kosten, bessere Qualität, und nicht so viel Überflüssiges.“

Als Gesundheitsminister steht er jetzt da mitten in dem von ihm selbst mitgestalteten Scherbenhaufen des abgeschrumpften Gesundheitssystems und des zu geringen und zu gering gewürdigten und überforderten Personals. Wenn er ein menschliches, medizinisches, politisches Gewissen hat, tritt er als Gesundheitsminister zurück. Doch er schweigt, während er in der Pandemie lautstark die Überlastung des Gesundheitssystems beklagt. Eine Anfrage, wie er seine Mitwirkung bei der UKGM-Privatisierung beurteilt und ob er die halbe Million Euro an Aufsichtsratstantiemen in einen Fonds zugunsten von entlassenen UKGM-Beschäftigten einzahlt, ließ er unbeantwortet.

„Wenn wir nichts machen, wird sich nichts bewegen“
Asklepios will auf betriebsbedingte Kündigungen und Ausgliederungen verzichten. Aber in die „konkrete Ausgestaltung wollen wir eingebunden werden“, so der Betriebsratsvorsitzende Frank Eggers. Fabian Dzewas-Rehm fordert eine klare Zusage, „dass keine Abteilungen ausgegliedert werden.“ Schon lange vor Corona wurden Betten stillgelegt, „weil wir einfach kein Personal haben“, so Intensivpfleger Ulrich Stroh. Mit einem Tarifvertrag müssen wir auch Entlastung erkämpfen, „notfalls mit Streik.“

Fussnoten
(1) Krankenhaus auf dem Weg der Besserung, SZ 24.12.2007
(2) Kompromiss im Streit um privatisiertes Uniklinikum, FAZ 30.1.2013
(3) Rhön-Klinikum: Partnerschaft mit Asklepios stärkt die Pflege am UKGM, Pressemitteilung 7.9.2020
(4) Landeshilfe für privatisiertes Uni-Klinikum „wird noch Politikum“, FAZ 17.1.2022

Der Artikel erschien bereits - in einer kürzeren Fassung - in Ver.di publik 1-2022



Weitergehende Informationen zu Gesundheitsminister Karl Lauterbach und seiner Laufbahn gibts in einem ausführlichen zweiteiligen Artikel, ebenfalls von Werner Rügemer. Teil 1 Teil 2



* Werner Rügemer

Dr. Werner Rügemer, Köln, Publizist, hat an der damaligen Reformuniversität Bremen 1979 seine Doktorarbeit im Bereich philosophischer Anthropologie und Soziologie verfasst. Bis 2017 Lehrbeauftragter an der Universität Köln. www.werner-ruegemer.de

Letzte Buchveröffentlichung: "Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts", Papyrossa-Verlag Köln 2018, 3. Auflage 2021 mit neuem Vorwort zum Systemwettbewerb zwischen dem
Westen und China. 19,90 Euro.

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