von Manfred Steglich*
17.12.2025
Besonders deutlich zeigt sich dies am Mietwohnungsmarkt. Die wachsende Kluft zwischen Bestands- und Angebotsmieten erzeugt einen ausgeprägten Lock-in-Effekt. Haushalte verbleiben in Wohnungen, die ihren Lebenslagen längst nicht mehr entsprechen, weil ein Umzug ökonomisch nicht mehr leistbar ist. Mobilität, lange ein zentrales Element sozialer Durchlässigkeit, wird zur sozialen Barriere. Für viele Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen bedeutet jeder Wohnungswechsel ein reales Armutsrisiko. Die geringe Fluktuation ist damit kein Zeichen von Stabilität, sondern Ausdruck sozialer Blockade.
Der nahezu vollständig fehlende strukturelle Leerstand verschärft diese Entwicklung. Ein Wohnungsmarkt ohne Reserve ist kein funktionierender Markt, sondern ein sozial dysfunktionaler. Knappheit wird nicht durch Angebot ausgeglichen, sondern in steigende Preise übersetzt. Besonders betroffen sind kleine Wohnungen, die von sehr unterschiedlichen Gruppen nachgefragt werden: Studierende, Alleinerziehende, ältere Menschen, Erwerbsarme. Hier verdichtet sich Wohnarmut – häufig verdeckt, aber sozial hoch wirksam. Wohnen wird für immer mehr Menschen zur zentralen Armutsursache.
Die im Monitoring dokumentierte Neubautätigkeit relativiert diese Entwicklung nicht. Neubau findet statt, doch er ist sozial hoch selektiv. Selbst dort, wo Kaufpreise zeitweise stagnieren oder sinken, verbleiben Mieten und Preise für Neubauten auf einem Niveau, das große Teile der Wohnungssuchenden ausschließt. Große Stadtentwicklungsprojekte verteilen Nachfrage räumlich, sie senken jedoch nicht die Zugangsschwellen für Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen. Neubau ersetzt keine soziale Wohnraumversorgung, solange er primär renditeorientiert organisiert ist.
Besonders widersprüchlich – ja geradezu absurd – ist die Entwicklung des sozial gebundenen Wohnungsbestands. Trotz erheblicher öffentlicher Wohnraumförderung sinkt die Zahl der Sozialwohnungen weiter. Fördermittel fließen, Wohnungen werden gebaut, und dennoch verschwindet bezahlbarer Wohnraum strukturell aus dem System, weil Bindungen auslaufen und nicht dauerhaft ersetzt werden. Empirisch zeigt sich ein paradoxer Effekt: Öffentliche Mittel stabilisieren den Markt, nicht aber die soziale Versorgung. Zeitlich befristete Sozialbindungen behandeln Wohnarmut als vorübergehendes Problem, obwohl sie längst zu einer dauerhaften sozialen Realität geworden ist.
Die kleinräumigen Analysen des Monitorings machen darüber hinaus eine zunehmende soziale Spaltung und Segregation sichtbar. In einzelnen Ortsteilen kumulieren hohe Belegungsdichten mit geringer Wohnfläche pro Person – ein klassisches Muster verdeckter Wohnarmut. Andere Stadtteile weisen hingegen großzügige Wohnverhältnisse und geringe Belegungsdichten auf. Diese Polarisierung ist nicht demografisch erklärbar, sondern Ergebnis langfristiger wohnungs-, boden- und investitionspolitischer Entscheidungen. So verfestigt sich soziale Ungleichheit räumlich und reproduziert sich über Generationen hinweg.
Aus stadt- und regionalsoziologischer sowie armutsforscherischer Perspektive ergeben sich aus diesen Befunden zwingende politische Konsequenzen, die über punktuelle Korrekturen hinausgehen:
Erstens ist die Vorstellung aufzugeben, der Wohnungsmarkt könne sich durch Neubau und Förderanreize selbst regulieren. Wohnen ist kein gewöhnliches Marktgut, sondern Teil der sozialen Daseinsvorsorge. Ein Markt, der Menschen faktisch immobilisiert, Wohnarmut produziert und soziale Spaltung vertieft, ist sozial nicht legitim.
Zweitens ist ein substanzieller Ausbau dauerhaft gemeinwohlorientierter Wohnungsbestände erforderlich. Zeitlich befristete Sozialbindungen reproduzieren das Problem, sie lösen es nicht. Jede Wohnraumförderung sollte grundsätzlich mit möglichst unbegrenzten Sozialbindungen oder zumindest mit sehr langen Bindungsfristen verbunden sein. Öffentliche Mittel dürfen nicht in private Vermögensbildung übergehen, während die soziale Wohnraumversorgung weiter ausgehöhlt wird. Wer mit öffentlichen Geldern baut, muss dauerhaft sozial bauen.
Drittens bedarf es einer grundlegenden Neuausrichtung der Bodenpolitik. Ohne öffentlichen Zugriff auf Boden bleibt jede Wohnungsstrategie reaktiv. Öffentlicher Bodenerwerb, Erbbaurecht statt Verkauf und die konsequente Abschöpfung planungsbedingter Bodenwertgewinne sind zentrale Voraussetzungen, um Wohnraum sozial steuern zu können.
Viertens braucht es einen wirksamen Mieterschutz, der über Transparenz hinausgeht und reale Begrenzungen setzt. Warmmieten müssen bezahlbar bleiben; energetische Sanierungen dürfen nicht zur sozialen Verdrängung führen. Ein Mietrecht, das steigende Wohnkosten hinnimmt, obwohl sie nachweislich Armut verschärfen, verfehlt seinen sozialen Zweck.
Fünftens erfordert die zunehmende Segregation gezielte, quartiersbezogene Interventionen. Investitionen in belasteten Stadtteilen müssen Wohnen, soziale Infrastruktur, Bildung und Nachbarschaftsentwicklung zusammendenken. Stadtentwicklung darf soziale Spaltung nicht verwalten, sondern muss sie aktiv abbauen.
Das „Monitoring Wohnen und Bauen 2025“ liefert hierfür aus meiner Sicht eine eindeutige empirische Grundlage. Die politische Schlussfolgerung daraus ist nicht länger aufzuschieben: Ohne eine aktive, dauerhafte und sozial orientierte öffentliche Verantwortung wird sich die Wohnungsfrage weiter zuspitzen. Eine soziale Wohnungswende ist keine Option, sondern eine Notwendigkeit, wenn soziale Spaltung, Segregation und Wohnarmut nicht weiter zur Normalität werden sollen.
* Manfred Steglich ist Sozialwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Stadt- und Regionalforschung. Langjährige Tätigkeit in der empirischen Sozialforschung. Studien zur Sozialpolitik, insbesondere zur Armutsforschung und Segregation. Daneben Arbeit als freier Autor und Redakteur.
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