Zur Frage der Kontinuität US-amerikanischer Politik



von Peter Köster
02.03.2019



Die Berichterstattung und Kommentierung unserer Medien suggerieren überwiegend einen mehr oder weniger fundamentalen Gegensatz der Außenpolitik der Trump-Administration zur bisher von den USA gewohnten. Handelt es sich - jenseits von Stilfragen und propagandistischen Manövern - funktional um einen Bruch mit bisherigen Traditionslinien?

"Wir besitzen etwa 50 % des Reichtums dieser Welt, stellen aber nur 6,3 % seiner Bevölkerung.[...] Unsere eigentliche Aufgabe in der nächsten Zeit besteht darin, eine Form von Beziehungen zu finden, die es uns erlaubt, diese Wohlstandsunterschiede ohne ernsthafte Abstriche an unserer nationalen Sicherheit beizubehalten...[Dazu] werden wir auf alle Sentimentalitäten und Tagträumereien verzichten müssen. [...] Wir sollten aufhören von vagen und - für den Fernen Osten – unrealistischen Zielen wie Menschenrechten, Anhebung von Lebensstandards und Demokratisierung zu reden."

aus: Wikipedia.de (Artikel George F. Kennan)

Der - vor allem wegen seines „Langen Telegramms“ von 1947, das gewissermaßen den internen Startschuss für die Herbeiführung des Kalten Krieges darstellte - berühmte George Kennan schrieb dies 1948 (!) in der seinerzeitigen Position des Chefplaners im US-Außenministerium. Es liest sich wie ein zynischer Versuch, die Aspekte von Kontinuität amerikanischer Politik als Schutzmacht des kapitalistischen Wirtschaftssystems in aller Welt einerseits und eigensüchtiger Interessenvertretung auch gegenüber kapitalistischen Konkurrenten andererseits, offenherzig auf ihren Kern zu reduzieren: Die Aufrechterhaltung der Ausbeutung weltweit und natürlich auch im eigenen Land durch das kapitalistische Eigentum an Produktionsmitteln mit und ohne Gewalt sicher zu stellen. Zu danken ist ihm durchaus, dass er die realen jeweiligen Folgen der strukturellen Gewalt für die Menschen hinsichtlich Lebensstandard, Mitbestimmungsmöglichkeiten und realen Menschenrechten nicht verschweigt und die angeblichen „westlichen Werte“ brutal als „unrealistische Ziele“ - nämlich für die in unterschiedlichem Ausmaß ausgebeutete riesige Mehrheit der Menschheit - abtut. Das Heer der „Kopflanger, Weißwäscher und Ausredner“ (Brecht) des Kapitalismus muss entsetzt gewesen sein, als sein Konzeptpapier an die Öffentlichkeit gelangte.

Dabei steht das explizite amerikanische Konzept nach dem Zweiten Weltkrieg: „open door“ (weltweite Öffnung von Absatz- und Rohstoffmärkten) unter dem Motto der „one world“, die nicht von Ländern mit anderen (konkurrierenden) Wirtschaftsstrukturen irritiert werden sollte, durchaus in einer heute 100 Jahre alten Tradition: Bereits die Politik Wilsons einschließlich des Kriegseintritts in den Ersten Weltkrieg und der „14 Punkte“ als Vorbedingung eines Friedensschlusses lässt sich bereits so erklären, dass die USA zu dieser Zeit die grundsätzliche Führerschaft in der Industrialisierung von den alten Kolonialmächten Europas übernehmen konnte und wollte, um auf eine modernere Weise sich den privilegierten Lebensstandard zu sichern und künftig auszubauen. Die anfängliche Tendenz zwischen den Kriegen zum sogenannten „Isolationismus“ und die Trumpsche Politik heute, die zu Methoden eines Rabaukentums zu greifen scheint, können als bloße Modifikationen des skizzierten Grundzuges interpretiert werden; letztere als eine Art Suchbewegung im Sinne des „trial and error“ nach der cleversten Ausprägung einer Anpassung an sich verschiebende Kräfteverhältnisse in der Weltökonomie.

Unausweichlich ist allerdings für uns die Frage: Welches dieser Ziele ist eigentlich so wesentlich anders für die Politik einer gegenwärtigen - von Deutschland angeführten - EU, die an der „Festung Europa“ baut, im Maastricher Vertrag das kapitalistische System zum Maß aller Dinge erhebt, sich anschickt, mit allen - auch militärischen - Mitteln mit anderen Mächten um die zu knappen Bodenschätze in Afrika zu rangeln und zu all dem die Perspektive eines gemeinsamen europäischen Militärapparats öffnet. Reduziert sich der Unterschied zur angeprangerten US-Politik womöglich auf die geschicktere - nämlich heuchlerische - propagandistische „Verkaufe“, die perspektivisch auch z.B. eine AFD mitmachen könnte („europäische/abendländische Werte“)?